Hormonersatztherapie

Hormonersatztherapie in den Wechseljahren (HRT): Vorteile, Risiken und aktuelle Erkenntnisse
Die Hormontherapie in den Wechseljahren – auch Hormonersatztherapie (HET) oder Hormone Replacement Therapy (HRT) genannt – galt über viele Jahre als zweischneidig. Insbesondere nach Veröffentlichung der Women’s Health Initiative (WHI) Studie 2002 geriet die Therapie in Verruf. Damals wurde berichtet, die kombinierte HRT erhöhe das Risiko für Brustkrebs, Herzinfarkt, Schlaganfall und Thrombosen (S). In der Folge brachen viele Frauen die Hormone ab, und die Verschreibungen gingen um 80% zurück (S). Heute weiß man, dass dies ein grober Fehler war. In diesem Blog erklären wir, wie es zu dem Missverständnis rund um die Hormonersatztherapie gekommen ist und was der aktuelle Stand der Forschung sagt.
Warum die Hormontherapie lange umstritten war
Die Hauptkritik an der WHI-Studie ist, dass die Ergebnisse von den Medien falsch dargestellt wurden – und dass die Verantwortlichen diese Fehlinformationen kaum korrigierten. Die Medien berichteten, dass Frauen mit Hormonersatztherapie (HRT) ein um 26 % höheres Brustkrebsrisiko hätten. Dabei wurde nur das relative Risiko genannt. Tatsächlich war das absolute Risiko viel geringer: Es gab nur 0.1 zusätzliche Brustkrebsfälle pro 100 Frauen, die über 5 Jahre HRT einnahmen. Außerdem waren zwei Drittel der 16.608 Teilnehmerinnen zwischen 60 und 79 Jahre alt – also deutlich älter als typische Frauen in den Wechseljahren (S). Die Studienautoren der WHI stellten später selbst klar, dass für jüngere Frauen mit Wechseljahresbeschwerden der Nutzen einer HRT die Risiken bei weitem überwiegt (S). Trotzdem wurden die Studienergebnisse auf alle Frauen übertragen. Das führte dazu, dass viele Ärzt:innen HRT seltener verschrieben.
Neue Studien zeigen: Die Vorteile überwiegen meistens
Folgeanalysen der WHI-Daten zeigen: Betrachtet man nur die Frauen im Alter von 50–59 Jahren, zeigte sich unter HRT kein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko – im Gegenteil, in dieser Altersgruppe traten weniger Knochenbrüche, weniger Diabetesfälle und insgesamt sogar weniger Todesfälle auf als in der Placebogruppe (S).
Zahlreiche weitere Untersuchungen untermauern diesen Befund. So zeigten neuere randomisierte Studien wie ELITE, KEEPS und DOPS, die HRT bei Frauen um die Menopause (also deutlich jünger als in WHI) untersuchten, keine relevanten Risiken in dieser Zielgruppe. Eine große Cochrane-Metaanalyse bestätigte 2015, dass Frauen, die innerhalb von 10 Jahren nach der Menopause mit HRT anfingen, eine 30 % niedrigere Gesamtsterblichkeit und etwa 50 % geringeres Risiko für koronare Herzkrankheit aufwiesen – verglichen mit Frauen ohne HRT (S).
Diese neueren Erkenntnisse haben dazu geführt, dass Fachgesellschaften heute ein deutlich positiveres Bild der Hormonersatztherapie zeichnen als noch vor 20 Jahren.
Vorteile der Hormonersatztherapie in den Wechseljahren
- Effektive Linderung von Wechseljahresbeschwerden: HRT ist nach wie vor die wirksamste Behandlung, um klimakterische Beschwerden wie Hitzewallungen und Nachtschweiß zu behandeln. Auch Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und Gelenkbeschwerden bessern sich häufig. Ebenso hilft eine lokale (vaginale) Östrogentherapie gegen Scheidentrockenheit und begleitende Symptome des urogenitalen Syndroms der Menopause. Viele Frauen erleben durch HRT einen erheblichen Gewinn an Alltagskomfort und Lebensqualität (S).
- Schutz vor Osteoporose und Frakturen: Östrogen schützt die Knochen. Unter Hormonersatztherapie verlangsamt sich der postmenopausale Knochenschwund, und Studien zeigen eine Reduktion des Osteoporose-Risikos sowie weniger Knochenbrüche. Aus diesem Grund wird HRT in Leitlinien als eine Option zur Vorbeugung von Osteoporose empfohlen, insbesondere bei Frauen mit erhöhtem Frakturrisiko (S).
- Immunsystem: Hormontherapie in den Wechseljahren kann das Immunsystem stärken: Frauen mit HRT hatten mehr B-Zellen, eine stärkere T-Zell-Aktivierung und höhere Entzündungsmarker. Die Ergebnisse zeigen, dass HRT altersbedingte Veränderungen im Immunsystem teilweise rückgängig machen kann (S).
- Potenzielle Vorteile für das Herz-Kreislauf-System: Aktuelle Daten deuten darauf hin, dass HRT das Herz schützen kann, wenn sie rechtzeitig begonnen wird. Bei Frauen unter 60 bzw. innerhalb von 10 Jahren nach Menopause wurde ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen beobachtet (S). Die Theorie dahinter: Östrogen wirkt positiv auf Blutfette und Gefäße, solange diese noch relativ gesund sind (Stichwort Timing-Hypothese). Allerdings ist dieser Nutzen nur bei frühem Start belegt; eine präventive Gabe ausschließlich zur Herzvorsorge ohne Beschwerden wird nicht empfohlen.
- Gehirn, Stimmung und Demenz: Viele Frauen berichten unter HRT von besserer Stimmung, erholsamem Schlaf und klarerem Kopf. Ob Hormone auch das Demenzrisiko beeinflussen, wird noch erforscht. Manche Beobachtungsstudien deuten auf ein reduziertes Alzheimer-Risiko hin, wenn die Therapie nahe der Menopause begonnen wird.
- Darmkrebsrisiko: HRT senkt im Schnitt das Risiko für Darmkrebs leicht und kann positive Effekte auf Haut und Gelenke haben (S).
Risiken und Nebenwirkungen: Aktuelle Einschätzungen
Wie jede medizinische Behandlung ist auch die Hormonersatztherapie nicht frei von Risiken. Wichtig ist jedoch eine differenzierte Betrachtung: Die Risiken hängen stark vom Alter der Frau, dem Zeitpunkt des Therapiebeginns, der Dauer und der Art der HRT (Östrogen allein oder kombiniert, oral oder transdermal) ab. Moderne Leitlinien betonen, dass man Nutzen und Risiken individuell abwägen muss. Im Folgenden die wichtigsten Risiken laut aktuellem Wissensstand:
- Brustkrebs-Risiko: Dies ist das am häufigsten diskutierte Risiko der HRT. Tatsächlich kann eine längerfristige kombinierte HRT (Östrogen + Gestagen) das Brustkrebsrisiko leicht erhöhen. Laut einer großen Meta-Analyse entspricht dies etwa 20 zusätzlichen Brustkrebsfällen pro 1000 Frauen nach 5 Jahren kontinuierlicher Kombinations-HRT ab dem 50. Lebensjahr (S). Anders ausgedrückt: Pro Jahr HRT-Anwendung steigt das Brustkrebsrisiko um ca. 0,1–0,2 % (kombinierte HRT) bzw. 0,025 % (Östrogen alleine). Wichtig zu wissen: Das Risiko erhöht sich vor allem bei Anwendung länger als 5 Jahre. Kurzzeitige HRT zur Beschwerdelinderung zeigt in den ersten 5 Jahren kaum einen Einfluss auf die Brustkrebsrate. Zudem spielt die Art des Gestagens eine Rolle: Neuere Daten (z. B. aus der französischen E3N-Studie) weisen darauf hin, dass die Verwendung von mikronisiertem Progesteron (bioidentisch) anstelle synthetischer Gestagene mit einem geringeren Brustkrebsrisiko einhergehen könnte (S).
- Herz-Kreislauf-Risiken (Herzinfarkt, Schlaganfall): Die Auswirkungen der HRT auf Herz und Gefäße hängen stark vom Alter und Gesundheitsstatus der Frau ab. Bei jüngeren postmenopausalen Frauen (um 50–60) zeigt sich kein erhöhtes Herzinfarktrisiko, teilweise sogar eine Reduktion (S). Hingegen kann ein später Therapiebeginn (über 60 Jahre oder >10 Jahre nach Menopause) mit erhöhtem Risiko für koronare Herzerkrankungen und Schlaganfälle einhergehen (S).
- Venöse Thromboembolien (VTE): Östrogene können die Gerinnung beeinflussen und somit das Risiko für Tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien etwas erhöhen. Dieses Risiko ist dosisabhängig und unter oraler Gabe (Tabletten) am größten (S). Studien deuten darauf hin, dass transdermale Östrogene die Gerinnung weniger beeinflussen und mit einem niedrigeren Thromboserisiko einhergehen.
- Weitere Risiken: Eine Östrogen-Monotherapie bei Frauen mit Gebärmutter würde das Risiko für Gebärmutterschleimhautkrebs erhöhen – daher wird immer ein Gestagen dazugegeben, um die Uterusschleimhaut zu schützen. Bei korrekt kombinierter HRT besteht kein signifikant erhöhtes Endometriumkrebsrisiko. Ein leicht erhöhtes Risiko für Gallenblasen-Erkrankungen wurde unter oraler HRT beobachtet, vor allem bei längerer Einnahme (S).
Empfehlungen internationaler Leitlinien
International: Die International Menopause Society (IMS) betont, dass Frauen in den Wechseljahren Zugang zu evidenzbasierten Informationen und Therapien haben sollten, um informierte Entscheidungen zu treffen. In aktuellen Veröffentlichungen unterstreicht die IMS, dass eine individuell angepasste Hormontherapie für geeignete Patientinnen viele Vorteile bietet und ungerechtfertigte Ängste vor HRT abgebaut werden müssen.
USA: Die North American Menopause Society (NAMS) fasst es so zusammen: Für Frauen unter 60 Jahren oder innerhalb von 10 Jahren nach Menopausebeginn ohne Kontraindikationen überwiegt bei HRT klar der Nutzen (Behandlung lästiger vasomotorischer Symptome und Knochenschutz) gegenüber den Risiken (S). Bei Frauen, die erst jenseits des 60. Lebensjahres oder >10 Jahre nach der Menopause mit HRT beginnen, verschiebt sich das Verhältnis zugunsten der Risiken (mehr Herzkrankheiten, Schlaganfälle, Thrombosen, Demenz). NAMS empfiehlt, HRT zur Behandlung von moderaten bis schweren Wechseljahresbeschwerden einzusetzen und bei anhaltendem Bedarf nicht willkürlich auf eine starre zeitliche Begrenzung zu pochen. Eine regelmäßige gemeinsame Überprüfung der Therapie (z. B. jährlich) wird angeraten, insbesondere wenn die Behandlung über 5 Jahre hinaus fortgeführt wird.
Deutschland: In Deutschland hat die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) 2020 gemeinsam mit anderen Fachgesellschaften eine S3-Leitlinie zur Behandlung der Peri- und Postmenopause veröffentlicht. Darin wird betont, dass die Entscheidung für eine HRT immer individuell und gemeinsam mit der Patientin getroffen werden soll. Vor allem Frauen mit starken Hitzewallungen und Schweißausbrüchen soll eine Hormonersatztherapie angeboten werden, da dies die effektivste Therapie darstellt; auch zur Vorbeugung von Knochenschwund kann HRT sinnvoll sein. Die Leitlinie stellt klar, dass das durch HRT bedingte Krebsrisiko in der individuellen Abwägung als gering einzuschätzen ist (S). Fazit: Für viele Frauen überwiegt der Nutzen – sie können sich nach ausführlicher Beratung und Abwägung gemeinsam mit ihrer Ärztin für eine Hormonbehandlung entscheiden. Die Deutsche Menopause Gesellschaft und weitere Fachgremien unterstützen diese Empfehlungen. Sie fordern, die in den 2000er Jahren entstandene „Hormon-Angst“ abzulegen und Frauen evidenzbasiert über die tatsächlichen Vor- und Nachteile der HRT aufzuklären.
Fazit: Informierte Entscheidung für mehr Lebensqualität
Die Einstellung zur Hormontherapie in den Wechseljahren hat sich dank aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse deutlich zum Positiven gewandelt. Für die typische Anwenderin – eine gesunde Frau um die 50 mit erheblichen Wechseljahresbeschwerden – überwiegen die Vorteile einer HRT in der Regel die Risiken klar. HRT ist die effektivste Methode, um Hitzewallungen zu beseitigen, und kann maßgeblich dazu beitragen, die Lebensqualität in der Menopause zu steigern. Zugleich bietet sie wertvollen Schutz vor Knochenschwund und möglicherweise weitere Gesundheitsvorteile.
Jede Frau sollte gemeinsam mit ihrer Gynäkologin abwägen, ob eine Hormonersatztherapie für sie persönlich sinnvoll ist – unter Berücksichtigung von Beschwerden, Risikofaktoren und individuellen Präferenzen. Die aktuellen Leitlinien sind hier klar: Bei vielen Patientinnen überwiegen die Vorteile einer Hormonersatztherapie. Dennoch sind nicht alle Gynäkologinnen umfassend informiert. Wenn man sich nicht gehört oder nicht ernst genommen fühlt, kann es sinnvoll sein, eine Zweitmeinung einzuholen.